Eine der wenigen positiven Folgen der Corona-Pandemie ist sicherlich, dass sie Licht auf die Arbeitsbedingungen in einer Branche warf, die in der Öffentlichkeit vorher kaum Beachtung gefunden hatte. Nach dem Corona-Ausbruch im Tönnies-Schlachthof in Gütersloh (NRW) konnten auch die Politikerinnen und Politiker der Regierungsparteien nicht mehr leugnen, was Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Initiativen im Umfeld der Branche schon lange gesagt haben: die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen sind unerträglich.
Schon im Mai kündigte die Bundesregierung unter Federführung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein neues Gesetz an, das Arbeitsschutzkontrollgesetz. Nach langem koalitionsinternen Hin und Her wurde das Gesetz nun am 16. Dezember verabschiedet und tritt zum 01.01.2021 in Kraft. Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz soll – so Heil – für „Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“ gesorgt werden.
Die Gesetzesinitiative der Regierung hat nicht nur Auswirkungen auf die Fleischindustrie. Mit einer Änderung des Arbeitsschutzgesetzes will sie erreichen, dass die Zahl der Kontrollen durch die „Arbeitsschutzbehörden“ angehoben wird. Die Arbeitsschutzbehörden sind Einrichtungen der Bundesländer, die Zahl der Betriebskontrollen unterscheidet sich daher von Bundesland zu Bundesland. Insgesamt gingen die Kontrollen in den letzten Jahren jedoch immer weiter zurück. Im Arbeitsschutzgesetz soll jetzt eine verpflichtende Mindestbesichtigungsquote von 5% aller Betriebe pro Jahr eingeführt werden – gültig ab 2026.
Wenn man schon die Intensivierung der Kontrollen bis auf den St. Nimmerleinstag verschiebt, soll nach dem Wunsch der Bundesregierung schon davor zumindest deren Wirksamkeit erhöht werden. Dafür wird die Dokumentationspflicht der Unternehmen ausgeweitet. Speziell in der Fleischindustrie soll es zukünftig eine verpflichtende elektronische Arbeitszeiterfassung geben. Oft waren die realen Arbeitszeiten mit bis zu 16 Stunden am Tag höher, als gesetzlich erlaubt, womit auch die realen Stundenlöhne unter Mindestlohn gedrückt wurden. Für Gemeinschaftsunterkünfte von Beschäftigten werden im Gesetz branchenübergreifend Mindestanforderungen festgelegt. Außerdem wird von den Arbeitgebern verlangt, die Adressen, Kapazitäten und die Belegung der Unterkünfte zu dokumentieren. Laien mag es verwundern, dass gerade in diesem Land, dem Heimatland der Bürokratie, eine solche Dokumentation nicht längst vorgeschrieben war. Aber die Leidtragenden waren halt nur schlecht bezahlte ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter. Auch die Bußgelder beim Verstoß gegen Arbeitsschutzstandards werden erhöht, eine überfällige Maßnahme. Die letzte Anpassung geschah 1994.
So sehr es zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung die Zahl und die Wirksamkeit der Kontrollen erhöhen will – entscheidend werden die personelle Ausstattung und der Ehrgeiz der jeweiligen Landesbehörden sein. Und gleichzeitig ist, wenn Chefs das Arbeitsrecht verletzen, keine noch so fleißige Arbeitsschutzbehörde ein Ersatz für die Selbstorganisation der Arbeiterinnen und Arbeiter, stark aufgestellte Gewerkschaften und engagierte Betriebsräte.
Kern des Gesetzes in Bezug auf die Fleischindustrie ist die starke Einschränkung von Werkverträgen und Leiharbeit. Ursprünglich wurde ein komplettes Verbot dieser Praktiken angekündigt, davon kann aber nun ehrlicherweise nicht mehr die Rede sein. Die CDU hatte sich für die Fleischbarone beherzt in die Bresche geworfen und so einige Abschwächungen und Ausnahmen im Gesetz durchsetzen können.
Der Einsatz von Werkverträgen soll in Schlachthöfen ab dem 01.01.2021 verboten sein. Ausgenommen sind Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten, wobei hier nur diejenigen in der Produktion mitgezählt werden. Beschäftigte, die z.B. im Verkauf in Filialen arbeiten, betrifft das dagegen nicht. Das Verbot gilt also für die Bereiche des Schlachtens, Zerlegens und der Fleischverarbeitung.
Spätestens, wenn man sich das sogenannte „Verbot“ von Leiharbeit näher anschaut, erinnert das Gesetz stark an Schweizer Käse – mehr Löcher als Inhalt. So wird der Einsatz von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern beim Schlachten und Zerlegen zwar auch verboten, aber erst ab dem 01.04.2021 und ebenfalls nicht in kleineren Betrieben. Außerdem bleibt der Einsatz von Leiharbeitern die ersten drei Jahre in der Fleischverarbeitung weiter möglich, sofern im Betrieb ein Tarifvertrag gilt und die Leiharbeiter gleich bezahlt werden wie die Festangestellten (‚Equal Pay‘). Die Höchstüberlassungsdauer beträgt dann 4 Monate. Entsprechend erfreut reagierte darauf die Gewerkschaft NGG: sie erhofft sich, nun mehr Tarifverträge mit den Fleischbaronen abschließen zu können.
Die Fleischindustrie ist, wie Dr. Rolf Geffken in seinem Kommentar zum Gesetzesentwurf richtig feststellte, keineswegs die einzige und nicht einmal die führende Branche, was den massenhaften Einsatz von Werkverträgen und Leiharbeit – auf dem Rücken der Beschäftigten – angeht. Deshalb begrüßte die FAU Pfalz/Saar den Gesetzesentwurf im Sommer als ersten Schritt, auf dem aufbauend wir für ein Ende der Ausbeutung von Leiharbeitern in allen Branchen kämpfen können.
Und auch, wenn wir die vielen Ausnahmen und Schlupflöcher im Gesetz, wie es in wenigen Tagen verabschiedet wird, nicht gutheißen, bleibt diese Chance weiterhin. Denn erstmals wird in einer Branche per Gesetz der Grundsatz des Equal Pay – also der gleichen Bezahlung von Leiharbeitern und Festangestellten – festgeschrieben. Für diese Gleichbehandlung waren wir im vergangenen Jahr vor Gericht gezogen und hatten einen ersten bescheidenen Erfolg erzielt. Und dieses Ziel der Gleichbehandlung ist weiterhin in Sichtweite.
Ebenfalls am 16. Dezember werden vor dem Bundesarbeitsgericht drei andere Klagen der Kampagne um den Arbeitsrechtler Prof. Wolfgang Däubler verhandelt. Auch wenn bis zu einem endgültigen Urteil über das System Leiharbeit noch einige Zeit vergehen wird: Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz haben sich die Chancen dafür, der Ausbeutung von Werkvertrags- und Leiharbeitern ein Ende zu setzen, zumindest ein Stück weit verbessert.
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